
Ja zu Lebkuchen und Weihnachtsbraten. Ja zur Winterwanderung und zum Traubenzucker. Typ-1-Diabetes steht einem genussvollen und aktiven Leben nicht im Weg – auch nicht in der Weihnachtszeit. Worauf es ankommt, ist, den eigenen Körper gut zu kennen und bewusste Entscheidungen zu treffen. Hier ein paar Tipps, wie man die Advents- und Weihnachtszeit mit Typ-1-Diabetes genussvoll gestaltet.
Wie viele Kohlenhydrate stecken in den selbstgebackenen Keksen? Was passiert, wenn ich beim winterlichen Joggen oder beim Eislaufen richtig ins Schwitzen komme? Und wie reagiert mein Körper auf die heiße Schokolade am Christkindlmarkt?
Fragen rund um Ernährung und Bewegung waren auch beim Real Talk Type 1 im September Thema, denn sie gehören für Menschen mit Typ-1-Diabetes zum Alltag – und sind oft eine echte Herausforderung. Besonders in der Weihnachtszeit, wenn Adventmärkte, Weihnachtsfeiern und festliche Familienessen locken, steigen die Anforderungen an das Diabetes-Management. Denn sowohl Über- als auch Unterzuckerungen können schnell zur Gefahr werden.
Genießen erlaubt – auch in der Weihnachtszeit
Trotzdem steht die Erkrankung einem genussvollen Leben nicht im Weg. Im Gegenteil. Auch die Weihnachtszeit mit all ihren kulinarischen Verlockungen lässt sich mit Typ-1-Diabetes bewusst genießen.
Druck herausnehmen
Die ständige Auseinandersetzung mit Blutzuckerwerten, Insulin und Ernährung kann eine große psychosoziale Belastung darstellen – für Betroffene ebenso wie für Angehörige.1 Gerade in der Weihnachtszeit, wenn überall süße Versuchungen warten und gesellschaftliche Anlässe den Alltag bestimmen, wird diese Herausforderung noch größer. Vor allem die Time in Range wird leicht zu einem Stressfaktor. Sie gibt an, wie viel Prozent der Zeit der Blutzucker im Zielbereich liegt.2
Viele Betroffene lassen sich von ihrer Krankheit nicht knebeln. Sie erlauben sich Genussmomente – auch beim Adventkaffee mit Freunden – und passen Insulin flexibel an.
Nahrungsmittel richtig einschätzen
Das bedeutet freilich keinen Freifahrtschein für den täglichen Griff in die Keksdose oder das ständige Naschen am Adventkalender. Entscheidend sind Bewusstsein und Wissen darüber, was man isst und wie es sich auf den Blutzucker auswirkt.
Weihnachtsfeiern und Christkindlmärkte als Challenge
Vor allem festliche Weihnachtsfeiern und Christkindlmärkte bringen für Menschen mit Typ-1-Diabetes besondere Herausforderungen mit sich: Ungewissheit über die Zutaten und Portionsgrößen erschwert das Einschätzen der Kohlenhydrate. Darüber hinaus ist es beim gemütlichen Schlendern von Stand zu Stand – ein Heißgetränk hier, eine Waffel dort – nicht immer einfach, den Blutzuckeranstieg und die Insulinwirkung richtig zu matchen. Dazu kommen oft ungewöhnliche Essenszeiten und Snacks zwischendurch.
Ein Beispiel: Ein Besuch am Christkindlmarkt mit Freunden am Nachmittag. Für die heiße Maroni wird ein entsprechender Bolus abgegeben. Danach wird geplaudert, man schlendert weiter – es ist bereits früher Abend. Die Freunde entscheiden, noch einen Absacker zu trinken und einen Kartoffelpuffer zu essen. Soll man in diesem Fall noch einen Bolus spritzen, oder wirkt das Insulin von den Maroni noch?
Auch wenn es lästig ist, kann es in solchen Fällen sinnvoll sein, den Bolus in mehreren kleinen Mengen hintereinander abzugeben.3 Lieber mit etwas weniger Insulin starten und später korrigieren. Wichtig dabei ist jedoch, Insulin-Stacking zu vermeiden – also das erneute Bolusspritzen, obwohl noch Insulin aus der vorherigen Gabe aktiv ist. Das kann zur Unterzuckerung führen.4, 5
Unterstützung durch Diabetestechnologie
Die moderne Diabetestechnologie erleichtert hier schon vieles. Sie unterstützt dabei, die Bolusabgabe gezielt auf die Mahlzeiten abzustimmen. AID-Systeme (Automatische Insulin-Dosierung) etwa arbeiten ähnlich wie eine gesunde Bauchspeicheldrüse: Auf Basis eines Algorithmus führen sie dem Körper automatisch Insulin zu, sobald die Blutzuckerwerte ansteigen.6 Auch bei der Insulinpen-Therapie ist es inzwischen mit modernen Smartpens häufig möglich, Bolusabgaben und aktives Insulin in einer Smartphone-App nachzuvollziehen.7
7 Tipps für den Christkindlmarkt und die Weihnachtsfeier mit Typ-1-Diabetes
Hier 7 praktische Tipps, wie der Christkindlmarktbesuch und die gesamte Weihnachtszeit auch mit Typ-1-Diabetes zum genussvollen, entspannten Erlebnis werden:
- Genießen ist erlaubt: Wichtig ist, Kohlenhydrate und Insulin gut aufeinander abzustimmen.
- Kohlenhydrate richtig abschätzen: Hier gibt es hilfreiche Apps, die per Foto die Nahrungsmittel erkennen und Kohlenhydrate, Fett und Proteine realistisch einschätzen.
- Bei fettigen, eiweißreichen Leckereien (z. B. Raclette, Käsefondue, Bratwurst, Kartoffelpuffer): Verlängerten oder geteilten Bolus setzen.8
- Bei mehreren Gängen beim Weihnachtsessen: Bolusinsulin nicht auf einmal komplett abgeben.
- Stacking vermeiden: Nicht in zu kurzen Abständen Insulin spritzen, weil sich sonst die Wirkung überlappen könnte – Risiko der Unterzuckerung.
- „Sünden" in kleinen Dosen ausprobieren: Werte beobachten und daraus lernen.
- Moderne Diabetestechnologien nützen: AID-Systeme oder Insulinpen-Therapien ermöglichen eine kontinuierliche Glukosemessung und unterstützen dabei, die Bolusabgabe gezielt auf die Mahlzeiten abzustimmen.9
Mit Früherkennung Risiken senken - Ein Wort zu Familien und Angehörigen
Während Menschen mit Typ-1-Diabetes die Weihnachtszeit bewusst genießen können, ist es für Familienmitglieder wichtig zu wissen: Typ-1-Diabetes lässt sich bereits sehr früh erkennen. Noch bevor Symptome auftreten, können Inselautoantikörper im Blut nachgewiesen werden.10 Zwar verhindert die Früherkennung die Erkrankung nicht, sie bietet jedoch einen entscheidenden Vorteil: Betroffene können sich besser vorbereiten und eine schwere Stoffwechselentgleisung – die Ketoazidose, die oft lebensbedrohlich ist – vermeiden.11
Keine Angst vor Wintersport und Bewegung
Auch für Sport ist Typ-1-Diabetes per se kein Hindernis – auch nicht in der kalten Jahreszeit.12 Winterwanderungen, Eislaufen, Schneeschuhwandern oder Skifahren: All das ist möglich. Extremsportler Markus Sauer zeigt es vor: Als er vor Jahren mit dem Marathonlaufen begann und kurz darauf die Diagnose Typ-1-Diabetes erhielt, ließ er sich davon nicht aufhalten. Viele haben ihm gesagt, er darf und kann nicht mehr Sport machen. Aber für ihn war klar, dass er weitermacht. Also nahm er weiter an Wettläufen teil, inklusive der obligatorischen Portion Nudeln vor dem Start und den Verpflegungsstationen unterwegs. Beim Transalpine-Run hat er schon 200 bis 400 Gramm Kohlenhydrate pro Tag zu sich genommen, berichtet er im Real Talk Type 1 im September.
Auch in der Weihnachtszeit, wenn Bewegung im Freien besonders wichtig ist, um das üppige Essen auszugleichen, ist Sport weiterhin möglich. Ob Schlittschuhlaufen am Christkindlmarkt oder ein Tag am Snowboard verbringen – mit der richtigen Vorbereitung ist vieles machbar.
Die richtige Balance finden
Beim Sport kommt es für Menschen mit Typ-1-Diabetes vor allem darauf an, Unterzuckerungen zu vermeiden. Denn bei intensiver Belastung kann der Blutzucker rasch abfallen.13 Deshalb gilt: vor dem Training ausreichend essen – aber nicht zu viel, damit der Wert nicht in die Höhe schießt – und stets Kohlenhydrate dabeihaben. „Ich habe immer Traubenzucker mit, um einen Hypo zu verhindern“, sagt Sauer.
3 Tipps für Sport mit Typ-1-Diabetes
Auf diese 3 Dinge sollte man beim Sport achten, wenn man Typ-1-Diabetes hat:
- Vor und während des Sports Blutzuckerwert checken und gegebenenfalls etwas essen.
- Kohlenhydrate (z. B. Traubenzucker) immer dabeihaben, um Unterzuckerung zu vermeiden.
- Extreme sportliche Betätigung oder Teilnahme an Wettkämpfen vorher mit der Ärztin/dem Arzt abklären.
Genuss und Sport mit Typ-1-Diabetes war Thema beim „Real Talk Typ-1-Diabetes" im September. In dem interaktiven Online-Live-Format sprechen medizinische Expert*innen und Betroffene in regelmäßigen Abständen über unterschiedliche Themen rund um die Autoimmunerkrankung. Unter dem Motto „Dolce Vita in Wien – von der Sachertorte bis zum Wiener Schnitzel" diskutierten Markus Sauer, Prof. Dr. Thomas Danne und Prof. Dr. Othmar Moser im September darüber, wie sich Genuss und Sport mit der Krankheit vereinbaren lassen – Erkenntnisse, die gerade in der Weihnachtszeit besonders wertvoll sind.
Alle aktuellen Folgen zum Real Talk Typ-1-Diabetes sind hier abrufbar: Mein Leben mit Diabetes ǀ Real Talk Type 1 – Website
Referenzen
- Hagger V et al. Curr Diab Rep. 2016;16(1):9.
- Battelino T et al. Diabetes Care. 2019;42(8):1593-1603.
- https://www.mylife-diabetescare.com/de-AT/diabetes-wissen/pumpen-therapie/bolusvarianten-nutzen.html
- https://www.diabetesde.org/lexikon/insulinanaloga/Insulin-Stacking
- https://www.diabetes-kids.de/diesdas/diabetes-begriffe-erklaert-insulin-stacking
- https://www.diabetesde.org/lexikon/aid-system
- https://www.springermedizin.at/diabetestechnologie-update-2023/25289104
- Bell KJ et al. Diabetes Care. 2015;38(6):1008-15.
- Phillip M et al. Endocr Rev. 2023;44(2):254-280.
- Raab J et al. BMJ Open 2016; 6: e011144.
- Hummel S et al. Diabetologia 2023; 66: 1633–42.
- Riddell MC et al. Lancet Diabetes Endocrinol. 2017;5(5):377-390.
- Moser O et al. Diabetologia. 2020;63(12):2501-2520.