
„Ich baue mir immer etwas auf, das habe ich mein Leben lang. Aufgeben ist für mich keine Option,“ sagt Caro, 59 Jahre in Bezug auf ihre Multiple Sklerose, kurz MS. Während zu Beginn der Erkrankung vor allem Schübe Caros Alltag beeinträchtigten, wandelte sich ihre MS mit der Zeit. Mittlerweile hat sie keine Schübe mehr, aber eine schleichende Verschlechterung macht ihr zu schaffen. Vor welche Herausforderungen stehen MS Betroffene wie Caro? Und welcher neue Blick auf MS steht aktuell im Fokus der Forschung?
Multiple Sklerose ist eine chronisch entzündliche Autoimmunerkrankung, die allein in Österreich etwa 13.500 Menschen betrifft.1 Die Krankheit tritt meist im Erwachsenenalter auf, Frauen erkranken etwa doppelt so häufig wie Männer. Eine von ihnen ist Caro, 59 Jahre. Sie lebt seit 20 Jahren mit Multipler Sklerose.
MS hat vielfältige Ursachen und gilt als nicht heilbare, aber in der Regel gut behandelbare Erkrankung.2, 3 Der Schauplatz der MS ist das zentrale Nervensystem. Da das Immunsystem bei MS fälschlicherweise die eigenen Zellen angreift, als wären sie fremd, kommt es zu Entzündungen und Schäden im zentralen Nervensystem. Diese Entzündungen beeinträchtigen die Funktion der betroffenen Nerven, sodass die Weiterleitung von Nervenimpulsen entweder nicht mehr oder nur noch verzögert stattfindet. Dies führt zu einer Vielzahl neurologischer Symptome, die von Sehstörungen über Gleichgewichtsprobleme bis hin zu Taubheitsgefühlen reichen können.2 Da die Symptome einer MS zu Beginn meist unspezifisch auftreten, werden Diagnosen in vielen Fällen erst spät gestellt.4, 5 So erging es auch Caro.

Immer im Wandel: Eine MS verändert sich ständig
Über die Jahre erlebte Caro ein schleichendes Voranschreiten der Krankheit: Nach und nach nahmen ihre Schübe ab. Im Jahr 2012 wurde bei ihr eine sekundär progrediente MS, kurz SPMS, diagnostiziert, die in der Regel mit einer stetigen Verschlechterung der Erkrankung ohne Schübe einhergeht. Ihre Gehfähigkeit nahm ab, und sie musste auf Hilfsmittel wie einen Rollator und später einen Rollstuhl zurückgreifen. „Die Wegstrecken, die ich früher ohne Probleme bewältigt habe, wurden immer kürzer. Dazu kamen Blasenstörungen, Depressionen sowie chronische Müdigkeit und Erschöpfung“, so Caro.
Was steckt hinter dieser schleichenden Verschlechterung? Mittlerweile geht die Wissenschaft davon aus, dass zwei verschiedene Entzündungsprozesse für ein Fortschreiten der MS verantwortlich sind:6
- Der akute Entzündungsprozess, der Schüben zugrunde liegt. Diese äußern sich bei den Betroffenen durch verstärkte Symptome oder durch das plötzliche Auftreten neuer Symptome. Sie können nach einigen Tagen bis Wochen wieder verschwinden, wenn die akute Entzündung abklingt. Die Symptome können aber auch anhalten und bleibende Schäden verursachen.2, 7, 8
- Der chronisch schwelende Entzündungsprozess, der parallel zum akuten Prozess abläuft. Er kann unabhängig von Schüben zu einem Fortschreiten der Erkrankung und einer Verschlechterung der Symptome führen. Dies geschieht jedoch schleichend und ist oft schwierig in der Praxis zu erkennen.6, 9
Zudem wurde die MS lange Zeit in unterschiedliche Verlaufsformen eingeteilt. Heutzutage wird die MS jedoch eher als Kontinuum verstanden, deren Verläufe ineinander übergehen können.
Folgende Verlaufsformen oder Phasen können grob unterschieden werden:
- Die schubförmig remittierende MS (RRMS) ist gekennzeichnet durch akute Schübe, in denen neue Symptome auftreten oder sich bestehende Beschwerden verschlimmern. Nach einem Schub folgt eine sogenannte Remissionsphase von mehreren Tagen, Wochen oder Monaten, in der Symptome sich mehr oder weniger vollständig zurückbilden können.2
- Die sekundär progrediente MS (SPMS) kann sich aus der schubförmigen MS entwickeln. Die Schübe werden seltener, aber es kommt weiterhin zu einer schleichenden Verschlechterung bei den Betroffenen.2
- Bei der primär progredienten MS (PPMS) treten von Anfang an keine Schübe auf. Stattdessen schreitet die Erkrankung kontinuierlich voran. Die Symptome verschlechtern sich langsam über Jahre hinweg.2
Während die MS-Behandlung sich bislang vor allem auf die Kontrolle und Unterdrückung von akuten Entzündungen (Schüben) konzentriert hat, zielen neue therapeutische Ansätze darauf ab, den chronisch schwelenden Entzündungsprozesse zu adressieren und so das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen. Medikamente sind derzeit in der Entwicklung.6, 10 Wissenschaftliche Hintergründe dazu, warum sich MS-Symptome im Laufe der Zeit verschlechtern können, finden Interessierte auf www.ms-perspektivwechsel.de
Podcast-Tipp: Neue Erkenntnisse aus der MS-Forschung
Interessiert an weiteren Einblicken zum Thema? Im Podcast erklärt Robin White, medizinischer Direktor der Neurologie bei Sanofi, wie sich das Verständnis von MS in den letzten Jahren weiterentwickelt hat: „Schübe lassen sich mittlerweile erfolgreich behandeln und in einigen Fällen gelingt es sogar, dass sich die Symptome ganz zurückbilden. Dazu gibt es Möglichkeiten das Auftreten von Schüben zu verhindern oder stark zu verzögern. Das eigentliche Ziel ist, die Progression der Erkrankung zu stoppen.“
Ein aktives Leben trotz MS? Caro zeigt, wie das geht!
Caro hat sich trotz der MS nie davon abhalten lassen, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie stellte sich im Laufe der Jahre vielen Herausforderungen. So war sie nach der Diagnose weiterhin berufstätig und zog als Alleinerziehende parallel zwei Kinder groß, bis sie 2016 aufgrund der MS und zunehmenden körperlichen Einschränkungen gezwungen war, kürzerzutreten. Heute versucht Caro, trotzdem immer das Beste aus ihrer Situation zu machen. Sie hat viele Hobbys und gibt ihre Erfahrungen im Rahmen ihrer Tätigkeit als Leiterin einer Selbsthilfegruppe auch an andere weiter. Ihr Engagement zeigt, wie wichtig es ist, sich nicht von der Krankheit unterkriegen zu lassen, sondern aktiv am Leben teilzunehmen. Ihr Motto: „Ich schaffe das!“

Neugierig und flexibel bleiben: Caros Weg, ihre Lebensqualität zu erhalten
Caro hat mit ihrer MS viel durchlebt und gelernt, sich anzupassen: „Wandern kann ich leider nicht mehr, aber ich suche mir Touren, die ich auch mit dem Rollstuhl meistern kann, oder suche mir ein schönes Plätzchen, um die Natur zu genießen. Außerdem liebe ich das Reisen – Teneriffa und Norwegen stehen zum Beispiel noch auf meiner Liste. Da lasse ich mich von der MS nicht in die Knie zwingen, sondern frage nach der Unterstützung, die ich brauche.“
Um die Erkrankung zu verarbeiten und anderen zu helfen, startete Caro den Web-Blog https://frauenpowertrotzms.de und widmete sich dem Schreiben. „Es ist mir ein Herzensanliegen, anderen Betroffenen zu zeigen, dass das Leben weitergeht – auch mit MS“, sagt sie. „Deshalb habe ich mich aktiv der Selbsthilfegruppe angeschlossen, organisiere Informationstreffen, Freizeitaktivitäten oder Fachvorträge von Expert:innen.“ Doch nicht nur der Austausch mit anderen MS-Betroffenen ist für Caro entscheidend, um eine positive Einstellung zu bewahren. Sie geht zum Reha-Sport, den Landfrauen und sucht den Austausch fernab ihrer Erkrankung, um auf andere Gedanken zu kommen.
Caro bleibt immer auf Stand und informiert sich proaktiv über neue Behandlungsmöglichkeiten. „Ich frage meinem Arzt bei jedem Besuch buchstäblich Löcher in den Bauch und wir haben immer wieder neue Ansätze ausprobiert, um meine Lebensqualität zu verbessern“, sagt sie.
MS verstehen und managen: Website-Tipp für Betroffene, Angehörige und Interessierte
Die Krankheit MS ist komplex und ihr Verlauf von Mensch zu Mensch verschieden. Deshalb ist es so wichtig, darüber aufgeklärt zu sein, sensibel auf Veränderungen zu achten, offen mit dem Neurologen oder der Neurologin zu sprechen und regelmäßige Untersuchungen wahrzunehmen. Tipps für das Leben mit MS und nützliche Service-Angebote bietet die Website www.ms-begleiter.de.

Quellen:
- Website Österreichische Multiple Sklerose Gesellschaft: https://www.oemsg.at/2021/03/ms-barometer-multiple-sklerose-in-oesterreich/ [letzter Zugriff: 19.05.2025]
- Hemmer B. et al., Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen, S2k-Leitlinie, 2023, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. https://dgn.org/leitlinie/diagnose-und-therapie-dermultiplen-sklerose-neuromyelitis-optica-spektrum-erkrankungen-und-mog-igg-assoziierten-erkrankungen [letzter Zugriff: 09.05.2025]
- Website der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft, Bundesverband e. V. https://www.dmsg.de/multiple-sklerose/was-ist-ms [letzter Zugriff: 09.05.2025]
- Miller DH et al. Mult Scler. 2008 Nov;14(9):1157-74. doi: 10.1177/1352458508096878.
- Thompson A J et al. Lancet Neurol, 2018. 17(2):162-73.
- Scalfari A, Traboulsee A, Oh J, et al. Ann Neurol. Published online July 25, 2024. doi:10.1002/ana.27034.
- Absinta M, Lassmann H, Trapp BD.Curr Opin Neurol. 2020;33(3):277-285. doi:10.1097/WCO.00000000000008183.
- Yong VW. Neuron. 2022;110(21):3534-3548. doi:10.1016/j.neuron.2022.06.023.
- Giovannoni G et al. Ther Adv Neurol Disord. 2022;15:17562864211066751.
- Kappos L et al. JAMA Neurol. 2020; 77(9):1132-1140.